Gründungsaufruf
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Endlich kollektiv handlungsfähig werden –
Aufruf zur Vernetzung des akademischen Mittelbaus

 

 

Im Mittelbau der deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen rumort es, aus uns allen nur zu bekannten Gründen. Doch die Organisierung und Vernetzung von Mittelbauinitiativen ist bisher noch gering, viele Initiativen arbeiten isoliert voneinander. Es fehlt eine Struktur, die Mittelbauinitiativen, Fachgesellschaftskampagnen und Akteure aktueller lokaler Auseinandersetzungen vernetzt, um kollektiv und bundesweit handlungsfähig zu sein. Mit diesem Aufruf wollen wir den Prozess unserer Vernetzung beginnen. Wir versprechen uns davon viel: mindestens gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnenfähigkeit, vielleicht sogar Streikfähigkeit. Auch die Kooperation mit unterstützungswilligen Fachgesellschaften, Professor_innen und Studierenden würde wesentlich leichter, wenn der Mittelbau in der Lage ist, seine vielen Stimmen zu bündeln und zu multiplizieren.

 

Hintergrund

Die bundesdeutschen Hochschulen sind seit Jahren von einer chronischen Unterfinanzierung und von prekären Arbeitsbedingungen gekennzeichnet. Mit der Einführung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes im Jahr 2007 wurden befristete Verträge unterhalb der Professur ebenso zur Regel wie der Zwang, die Mittel für die eigene Weiterbeschäftigung selbst einzuwerben. Kurz-, Ketten- und Teilzeitverträge verhindern selbst mittelfristige Lebensplanung für „Nachwuchs”-Wissenschaftler_innen. Gleichzeitig wird ein berufliches Engagement weit über dem Durchschnitt sowie weitestgehende geographische Mobilität erwartet. Diese Situation hat sich in den vergangenen Jahren stetig verschärft. Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sind mittlerweile 90 Prozent aller wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen an Hochschulen befristet beschäftigt, und mehr als die Hälfte aller Zeitverträge haben haben eine Laufzeit von weniger als einem Jahr. Die wenigen wiederum, die über unbefristete Verträge verfügen, haben in der Regel eine so hohe Lehrverpflichtung, dass Forschung für sie nicht mehr zu leisten ist.

Da keine grundlegende Änderung dieser Verhältnisse in Aussicht steht, entstehen momentan in Fachgesellschaften und an zahlreichen Universitäten und Forschungseinrichtungen Mittelbau-Initiativen. Sie wecken die Aufmerksamkeit für die problematische Situation des Mittelbaus in den Gremien der einzelnen Disziplinen (z.B. Deutsche Gesellschaft für Soziologie, Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft, Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft) und verhandeln Abkommen über eine bessere Vertragspraxis direkt mit den Hochschulleitungen (z.B. in Frankfurt/Oder). Auch die Studierendenschaften wehren sich, denn die haarsträubenden Arbeitsbedingungen des Mittelbaus haben auch auf sie schwerwiegende Auswirkungen: Unter den vorherrschenden Bedingungen sind qualitativ hochwertige Lehre sowie eine angemessene Betreuung fast unmöglich. Widerstand formiert sich mittlerweile oft gemeinsam zwischen Mittelbau und Studierenden und führt zu Protestveranstaltungen (z.B. Hochschulgewerkschaft unter_bau in Frankfurt/Main; AStA Uni Hamburg).

 

Reformen ohne substantielle Verbesserung
Die Politik reagiert inzwischen auf die Proteste und ein breiter gesellschaftlicher Diskurs erkennt an, dass sich etwas ändern muss. Doch leider bringen die umgesetzten Reformen keine Verbesserung. Die jüngsten hochschulpolitischen Entscheidungen setzen, ganz im Gegenteil, weiterhin auf Ankurbelung des Wettbewerbs zwischen Hochschul- und Forschungsstandorten und auf Förderung eines wissenschaftlichen Marktes mit sich verschärfenden Konkurrenzverhältnissen zwischen hoch prekarisierten Wissenschaftler_innen.

Zwar soll das im März 2016 novellierte Wissenschaftszeitvertragsgesetz den stetig sinkenden Vertragslaufzeiten Einhalt gebieten. Es bricht jedoch nicht mit der Logik der Befristung selbst und hält den arbeitsrechtlichen Sonderstatus von Wissenschaftler_innen in der Qualifikationsphase aufrecht. Auch die im Juni 2016 beschlossene Verstetigung der Exzellenzinitiative erhebt die Ungleichheit zwischen den Hochschulen und damit zwischen den Studierenden zum gesellschaftlichen Ziel. Das Eliteprojekt „Exzellenzinitiative“ etabliert eine künstlich inszenierte Dauerkonkurrenz zwischen den Universitäten und treibt deren finanzielle Ungleichstellung unter Berufung auf eine dadurch vermeintlich zu erzielende Leistungssteigerung voran. Zwar sollen mit einer Milliarde Euro bis zum Jahr 2032 tausend neue Tenure-Track-Professuren geschaffen werden. Dies ist angesichts des eklatanten Personalmangels jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein und schafft weiterhin keine stabilen Perspektiven unterhalb der Professur.

An den Universitäten sind praktisch alle dort tätigen Gruppen von der Ökonomisierung von Bildung und Forschung betroffen. Den Mangel an solider Grundfinanzierung kompensiert ein Heer von – so die Schätzung der Zeit – inzwischen 100.000 Privatdozent_innen und Lehrbeauftragten, das für einen Stundenlohn weit unter dem Mindestlohn oder gänzlich kostenlos die grundständige Lehre gewährleisten. Für Privatdozent_innen gibt es zudem trotz ihrer hohen Qualifikation nur sehr begrenzte berufliche Perspektiven auf dem außeruniversitären Arbeitsmarkt. Selbst Professuren sind mittlerweile häufig befristet und garantieren nicht automatisch ein Verbleiben im Wissenschaftsbetrieb. Zugleich wird von Ländern und Rektoren die zentrale Bürokratie immer weiter aufgebläht. Verwaltungsmitarbeiter_innen sind durch die Aneinanderreihung und Kumulierung befristeter Teilzeitverträge einem steigenden, unsinnigen bürokratischen Arbeitsaufwand ausgesetzt. Auch technisches Personal sowie außerhalb der Universitäten tätige selbstständige Bildungsarbeitende sind von Lohndumping und Unsicherheit betroffen. Studentische Beschäftigte lernen an den Universitäten oft ebenfalls schon früh Prekarität und Unterbezahlung kennen.

Für die Studierenden führt die hohe Fluktuation, Überlastung und Ausbeutung des Lehrpersonals zu schlechten Betreuungsverhältnissen und einer eingeschränkten inhaltlichen Planbarkeit im Studium. Diese Situation hat nicht zuletzt Auswirkungen auf das Ziel einer schichtenübergreifenden Chancengerechtigkeit, da unter widrigen Studienbedingungen insbesondere Studierende mit nicht-akademischem Hintergrund die Universität wieder verlassen, wenn sie das Gefühl haben, dort nicht Fuß fassen zu können.

 

Aufruf zur Mobilisierung des Mittelbaus

Insbesondere der Mittelbau (im Vergleich zu Studierenden und Professor_innen) ist derzeit noch nicht bundesweit vernetzt. Wir schlagen daher vor, bundesweit Mittelbauinitiativen, kritische Fachgesellschaften und Privatdozent_innen zusammenzubringen. Am 21. Januar findet in Leipzig eine bundesweite Vernetzungskonferenz statt, um inhaltliche Diskussionen zu führen, Forderungen zu entwickeln und koordinierte Aktionen zu planen.
Wir könnten damit unter anderem auf Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst einwirken oder sogar in Hinblick auf die Bundestagswahl im September 2017 auf einen breiten Hochschulstreik zuarbeiten.